1gen. Man sieht auf einem Bogen Pa|pier, einen schwarzen Punkt352
2in einiger Entfernung nicht; zieht man aber eine Linie dazu, so
3sieht man ihn. – Eben so sieht man einen Strick in der Ferne, ob
4man gleich einzelne Theile desselben nicht sehen würde. – So sieht
5man auch Sterne von 5ter und 6ter Größe, wenn sie neben einem
6großen Stern stehen, die man sonst nicht sehen würde. – So sah
7Lichtenberg von seinem Gartenhause aus, hinter Bovden, zwi-
8schen dem grünen Felde die gelben Blümchen, die er einzeln gewiß
9nicht würde gesehen haben. – Dieß Alles ist in der That nicht so
10leicht zu erklären, als man Anfangs denken sollte. Die Linie, der
11Strick u.s.w. besteht ja aus einzelnen Punkten und Theilen.
12§. 316. 317.
13Entfernung der Gegenstände.
14Auf den Umstand, daß wir die Entfernung eines Gegenstandes,
15auch aus | der Menge der Dinge schließen, die wir zwischen ihm353
16und uns erblicken, gründet sich das bekannte Phänomen, daß der
17Mond, wenn er Abends über den Horizont herauf kömmt, so
18groß – »wie ein Mühlrad,« hingegen im Meridian, viel kleiner
19erscheint. Eigentlich ist er vielmehr am Horizont kleiner, als im
20Meridian. – Daß die Dünste oder die Luft hievon die Ursache
21seyen, ist leeres Geschwätz. Die wahre Ursache ist vielmehr: es ist
22Raisonnement. Wir können durchaus nicht Entfernungen sehen,
23sondern schließen sie blos. Es gehöret aber viel Uebung dazu,
24Empfindung und Räsonnement von einander zu trennen. Man
25zeichne sich doch den Mond, ein Mühlrad, einen Teller, und einen
26Mattir,∗unter einerley Sehewinkel. Was in aller Welt hat man
27nun für ein Recht, den Mond oder das Mühlrad für größer zu
28halten, als den Mattir? Un|ser Urtheil richtet sich ja blos nach354
29dem Bilde auf der Tunika retina, und auf dieser erscheinen alle
30diese Gegenstände gleich groß. Man kann ja mit einem Mattir den
31halben Himmel bedecken. – Daß man nun aber doch das Mühlrad
32oder den Teller für größer hält, als den Mattir, ist ein bloßer Ver-
33nunftschluß. Der Teller war einmahl weiter von uns entfernt, als
34der Mattir, wir mußten die Hand darnach ausstrecken, wir gingen
35vorbey: nun sehen wir beyde unter einerley Winkel, und schließen
36also, daß der Teller größer seyn müsse. – Bey dem Mond nun
37sind die nahen Berge, Bäume, Häuser oder andere Gegenstände