Physikalische Geographie, Meteorologie, Theorie der Erde.
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1geht beständig ein Strom | aus dem Atlantischen Meere in das Mit-19
2telländische, mit solcher Schnelligkeit, daß er in einer Stunde eine
3halbe Meile zurücklegt. Man hat berechnet, daß dieser Strom,
4seine Tiefe zu 200 Fuß angenommen, das Jahr hindurch 567
5Billionen 648 tausend Millionen Kubik Fuß Wasser in das Mit-
6telländische Meer bringe, wodurch allein dasselbe jährlich um
722 Fuß erhöhet werden müßte. Ausserdem aber fließen noch 8
8große Ströme in dasselbe. Der Po allein liefert täglich 10000
9Millionen Kubikfuß Wasser; der Nil 70 mahl so viel. Durch alle
10Zuströmungen zusammen genommen, müßte also das Mittellän-
11dische Meer sich jährlich um 30 Fuß erheben, und doch bemerkt
12man davon nichts. Es frägt sich daher: Wohin gelangt dieß Was-
13ser? An Ausdünstung darf man nicht denken. Durch diese wird
14freylich jährlich viel Wasser verbraucht, aber sie nimmt nur um
1512 Zoll Höhe mehr weg, als der Regen wie|der ersetzt, und kann20
16folglich keineswegs die Antwort auf die Frage seyn. Auch müßte
17dann, wenn so viel Wasser wirklich ausdünstete, das Mittellän-
18dische Meer schon längst ganz mit Salz angefüllt seyn. – Der
19Foliantenschreiber Pater Kircher führt die Anekdote an, daß
20ein Arabischer Calife im Jahr 1342 ein Meerschwein mit einem
21goldenen Schild habe in das Mittelländische Meer werfen lassen,
22und daß dann dieses Meerschwein in dem rothen Meere wieder
23sey gefangen worden. Hieraus könnte man also auf eine Ver-
24bindung dieser beyden Meere schließen, und man wollte auch
25darauf schließen. Allein wie kann man auf ein Mährchen sol-
26che Schlüsse bauen, zu welchen nichts weiter berechtigt! – Es
27bleibt nichts übrig, das obige Phänomen zu erklären, als an einen
28Ausfluß des Mittelländ. Meeres wieder zurück in das Atlantische
29zu denken. Hiefür spricht die wirk|liche Erfahrung, die Analo-21
30gie in andern Gewässern und die hydrostatische Möglichkeit.
31Man nimmt nähmlich an, daß so wie durch den obern Strom
32aus dem atlantischen Meere in das Mittelländische das Wasser
33herüberströmt, eben so durch einen untern Strom dasselbe wieder
34aus dem letzteren in das erstere zurückströme. Büffon erklärte
35einen solchen Gegenstrom für unmöglich, zeigte aber nur dadurch
36den Mangel seiner hydrostatischen Kenntnisse. Man kann sich
37von der Möglichkeit eines solchen Gegenstroms sehr leicht durch
38folgende Erfahrung überzeugen. Man öffne Abends seine Stu-
39benthür und trage nun ein Licht in der Stube auf und nieder
40herum. Man wird bald gewahr werden, daß sich die Luftströme
41über einander in entgegen gesetzter Richtung kreuzen. Der untere