1wir gleichwohl jeden Ge|genstand nicht zweymahl, sondern nur490
2einmahl sehen?
3Man sagt gewöhnlich, man sähe mit zwey Augen, den Gegen-
4stand nur darum einfach, weil sich die Gesichtsnerven beyder
5Augen vereinigen. Aber, wenn dieß die Ursache wäre, so sähe man
6nicht, wie man doch eine Sache doppelt sehen könnte, wenn man
7sich z.B. ein bischen das Auge drückt. Ueberdieß hat man ja auch
8durch die Anatomie gefunden, daß die Gesichtsnerven nicht in
9eins zusammen, sondern nur neben einander fortlaufen.
10Besser wird das Phänomen durch die Gewohnheit erklärt. Wir
11sehen alsdann erst einfach, wenn wir unsere Augen so gewöhnt
12haben, nach einer Axe hinzusehen, das wir es nicht merken, daß
13wir doppelt sehen. Kinder sehen anfangs unstreitig doppelt. Sie
14sehen so mit den Augen herum. Nach und nach werden sie aber |
15durch das Gefühl so betrogen, daß sie alle Dinge für einfach491
16halten, und also das einfache Sehen aus der Praxis lernen. Auch
17hat man Beyspiele von Personen, die einen heftigen Schlag auf
18das Auge bekommen haben: daß es sich verdrehte, und sie nun
19lange Zeit alle Gegenstände doppelt sahen; nach und nach sahen
20sie wieder alles durch die Gewohnheit einfach. – Indeß auch bey
21dieser Erklärung finden noch manche Schwierigkeiten Statt. Es
22müßte nach derselben etwas Geometrisches im Auge seyn, und es
23müßte daraus folgen, daß man auch andere Stellen dazu gewöh-
24nen könnte.
25Im September 1794 vomEuropean Magazinist über diesen
26Gegenstand eine Abhandlung mit C. D. unterschrieben, vermuth-
27lich von Darwin. Er glaubt, in der Natur unserer Seele sey etwas
28Correspondirendes, und dann sehen wir es nur einmahl. Er stellte
29hierüber folgenden Versuch an. Er schnitt seine Silhouette in ein |
30Brett und verlängerte dieses sehr weit. In einiger Entfernung stellte492
31er zwey Blätter Papier, ein weißes und ein rothes. Wenn er eine
32Weile auf das Rothe sah, und hernach auf das Weiße, so schien
33ihm auch dieses roth zu seyn.∗